Kanada mit seinen gewaltigen Vorkommen an Grund- und Rohstoffen profitiert wie kaum ein anderes Industrieland von der bereits seit über sechs Monate andauernden Rallye bei Rohstoffen, die von einigen Experten als der Beginn eines bevorstehenden „Rohstoff-Superzyklus“ angesehen wird. Neben massiven Preissteigerungen bei z.B. Kupfer, Eisenerz, Stahl und Holz hat auch Weizen den höchsten Preis seit 8 Jahren erreicht und der Ölpreis der Sorte WTI überschritt nun die Marke von 65 US-Dollar pro Barrel, den höchsten Stand seit Beginn der Pandemie.
Zeitgleich und nahezu spiegelbildlich steigen in Kanada die heimische Währung und die Zinsen. Der kanadische Dollar, auch „Loonie“ genannt, notiert aktuell nahe eines 6-Jahreshochs und die Rendite der 5- jährigen Anleihen ist aktuell einer der höchsten unter den größten zehn Industrieländern. Denn die Bank of Canada signalisiert bereits – im Gegensatz zu anderen weltweiten Zentralbanken – dass sie die Leitzinsen früher als in den meisten anderen Ländern anheben könnte, um inflationären Gefahren vorzubeugen. Auf ihrer Sitzung in der vergangenen Woche wurde bereits eine Reduzierung des monatlichen Ankauftempos von Anleihen verkündigt, ein Zeichen dafür, dass die kanadische Wirtschaft möglicherweise bald weniger Anreize benötigt. Auch die aktuellen Kurse bei den Zinsswaps deuten darauf hin, dass der Markt mit mindestens zwei Zinserhöhungen bis Ende nächsten Jahres rechnet.
Solange die anderen Länder mit Zinserhöhungen abwarten, könnte Kanada somit nicht nur vom weltweiten Rohstoffboom profitieren, sondern auch von seiner relativen Attraktivität im Hinblick auf positive Zinsen und eine starke Währung, die von internationalen Anlegergeldern auf der Suche nach attraktiven Renditen nachgefragt werden.
Allerdings dürfen diese positiven Aspekte nicht darüber hinwegtäuschen, dass mögliche negative Begleiterscheinungen dieser Entwicklung – Inflation, Zinssteigerungen und höhere Produktionskosten – Teile der Wirtschaft und Gesellschaft abhängen und bestehende Ungleichheiten weiter verstärken könnten. Während Kanadas Westen tendenziell stark vom Rohstoffboom profitiert, könnten höheren Rohstoffkosten und Zinsen zur Herausforderung für bestimmte Regionen und Bereiche mit einem hohen Anteil an verarbeitender Industrie (zum Beispiel in Ontario) werden und insbesondere auch den Niedriglohnsektor stark treffen, wenn dieser Sektor Kosten reduzieren und Arbeitsplätze abbauen müsste.
Die kanadische Politik steht somit vor dem Dilemma und der Herausforderung, mit dem durch den Boom ausgelösten Wachstum einerseits die hohen Haushaltsdefizite abbauen zu können aber andererseits dafür zu sorgen, dass Menschen und Regionen nicht zurückbleiben. Auch stellt sich die Frage, wie Kanada mit dem Boom der alten Rohstoff-Industrien gleichzeitig das ehrgeizige Ziel des „New Green Deal“ und der Klimaneutralität erreichen will.
Es sind also geschickte, innovative Lösungen der kanadischen Politik und Wirtschaft gefragt, so dass das gesamte Land und alle Bereiche von diesem möglichen Superzyklus profitieren.